Zur Erinnerung an unsere verstorbene Mutter

 

Johanna Kneipp

 

 

 
 

 

 

 

Unsere liebe Mutter verstarb am 29.12.2009 im Alter von 82 Jahren. Viele sagen, sie hatte einen schnellen Tod und musste nicht viel leiden, so wie sie es sich gewünscht hatte. Wir meinen, ja, stimmt, aber wir hätten sie schon noch gerne ein paar Jährchen gehabt.

 

Wie viele wissen, hatte sie eine Vorliebe für Gedichte. Sie konnte viele Gedichte und Lieder, die sie in ihrer Jugend gelernt hatte immer noch auswendig. Und wenn sie von einem Gedicht nur noch wenige Zeilen konnte, musste ich ihr das vollständige Gedicht im Internet suchen. Manche schrieb sie auf und diese Zettel bewahrte sie zwischen den Seiten des „Kempter Kalenders“ auf. Manche trug sie auch in kleiner Runde vor.

 

Von ihren aktuell beliebtesten Gedichten möchte ich hier ein paar einstellen:

Textfeld: Der Winter ist ein rechter Mann
Der Winter ist ein rechter Mann,
Kernfest und auf die Dauer;
Sein Fleisch fühlt sich wie Eisen an,
Und scheut nicht süß noch sauer.
War je ein Mann gesund wie er?
Er krankt und kränkelt nimmer,
Er trotzt der Kälte wie ein Bär
und schläft im kalten Zimmer.
Er zieht sein Hemd im freien an
und läßt´s vorher nicht wärmen
und spottet über Fluß im Zahn
und Grimmen in Gedärmen.
Aus Blumen und aus Vogelsang
weiß er sich nichts zu machen,
Haßt warmen Drang und warmen Klang
und alle warmen Sachen.
Doch wenn die Füchse bellen sehr,
wenn´s Holz im Ofen knittert,
und um den Ofen Knecht und Herr
die Hände reibt und zittert;
Wenn Stein und Bein vor Frost zerbricht
und Teich und Seen krachen:
Das klingt ihm gut, das haßt er nicht,
dann will er tot sich lachen.-
Sein Schloß von Eis liegt ganz hinaus
Beim Nordpol an dem Strande;
Doch hat er auch ein Sommerhaus
im lieben Schweizerlande.
Da ist er denn bald dort, bald hier;
gut Regiment zu führen;
und wenn er durchzieht, stehen wir
und sehn ihn an und frieren.
(von Matthias Claudius)

Textfeld: Die hungrigen Vögel

Spätzlein vor den Häusern fragen:
„Habt ihr nicht ein wenig Brot ?“
Finklein klagen auch und sagen:
„Ach erbarmt euch unsrer Not“

Und die Meislein und die Zeislein
sind jetzt arme Bettelleut
und sie schreien: “ Tisch und Häuslein
sind uns allen eingeschneit.“

Auch die Amseln und die Ammern
sitzen zitternd in dem Schnee,
und sie frieren und sie jammern:
„Ach, der Hunger tut so weh!“

„Liebe Kinder streut uns Bröschen
werdet nicht im Geben müd,
wenn dann Veilchen blühn und Röschen
singen wir euch Lied um Lied.“

(Johannes Staub)
Textfeld: Die Predigt für die Katz’

Der Pfarrer hielt die schönste Predigt,
und dennoch schliefen manche ein.
Da schlich auf einmal in die Kirche
des Pfarrers Katze sacht herein.

Ganz leise ging sie durch die Kirche
und setzte sich dann vorne hin
und sah hinauf zu ihrem Pfarrer
und hörte andachtsvoll auf ihn.

Da schauten alle auf die Katze,
schnell weckte man die Schläfer auf,
damit sie sähen wie die Katze
zu ihrem Pfarrer blickt hinauf.

„Ihr wundert euch,“, so sprach der Pfarrer,
„dass meine Katze kommt hierher
und dass sie aufpasst auf die Predigt,
das wundert euch vielleicht noch mehr.

Sie kommt hierher – ich will’s euch sagen –
und sucht sich vorne einen Platz,
weil sie gehört hat, dass ihr Pfarrer
hier hält die Predigt für die Katz.“

(unbekannter Verfasser)
Textfeld: Ein Freund ging nach Amerika

Ein Freund ging nach Amerika
Und schrieb mir vor einigen Lenzen:
Schicke mir Rosen aus Steiermark,
Ich hab' eine Braut zu bekränzen!
Und als vergangen war ein Jahr,
Da kam ein Brieflein gelaufen:
Schicke mir Wasser aus Steiermark,
Ich hab' ein Kindlein zu taufen!
Und wieder ein Jahr, da wollte der Freund,
Ach, noch was anderes haben:
Schicke mir Erde aus Steiermark,
Muss Weib und Kind begraben!
Und so ersehnte der arme Mann
Auf fernsten, fremden Wegen
Für höchste Freud', für tiefstes Leid
Des Heimatlandes Segen.
(von Peter Rosegger)
Textfeld: Ich ging im Walde so vor mich hin

Ich ging im Walde 
So vor mich hin,
Und nichts zu suchen,
Das war mein Sinn.

Im Schatten sah ich 
Ein Blümlein stehn, 
Wie Sterne blinkend, 
Wie Äuglein schön. 

Ich wollt es brechen, 
Da sagt' es fein: 
Soll ich zum Welken 
Gebrochen sein? 

Mit allen Wurzeln 
Hob ich es aus, 
Und trugs zum Garten 
Am hübschen Haus.

Ich pflanzt es wieder
Am kühlen Ort; 
Nun zweigt und blüht es 
Mir immer fort.

Johann Wolfgang von Goethe
Textfeld: Wo bin ich gewesen? 

"Wo bin ich gewesen?
Nun rat einmal schön!“
"lm Wald bist gewesen,
das kann ich ja sehn.
Spinnweben am Kleidchen,
Tannnadeln im Haar,
das bringt ja nur mit,
wer im Tannenwald war!"
"Was tat ich im Wald?
Sprich, weißt du das auch?“
"Hast Beerlein gepickt
vorn Heidelbeerstrauch.
O sieh nur, wie blau um das Mündchen du bist!
Das bekommt man ja nur, wenn man Heiderbeeren isst!“

(von Johannes Trojan)

 

Es ist das Schönste auf der Welt,

daß Tod und Teufel nimmt kein Geld,

sonst müßt ein mancher armer Gsell

für einen Reichen in die Höll.

 

(unbekannt)

 
 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

 

Textfeld: Die drei Spatzen 
In einem leeren Haselstrauch, 
da sitzen drei Spatzen, Bauch an Bauch. 
Der Erich rechts und links der Franz 
und mittendrin der freche Hans. 
Sie haben die Augen zu, ganz zu, 
und obendrüber, da schneit es, hu! 
Sie rücken zusammen dicht, ganz dicht.
So warm wie der Hans hat`s niemand nicht.
Sie hör`n alle drei ihrer Herzlein Gepoch. 
Und wenn sie nicht weg sind, so sitzen sie noch. 
(Christian Morgenstern )
Textfeld: Keine Zeit

Als Rentnergruß gelten weit und breit
zwei Wörter ringsum: „Keine Zeit“.
Frühstück machen, Zeitung lesen,
heut’ schon in der Stadt gewesen?
Nebst Nachbarn froh im Garten sitzen,
über dem Mittagessen schwitzen,
Post beantworten, telefonieren,
den Stress vergangener Jahre spüren,
mit Freunden plaudern, Fernsehen schauen,
auf Gott und auf die Zeit vertrauen,
Pillen schlucken, per Bus verreisen,
die Gesundheit über alles preisen,
viel vergessen, Babysitter spielen,
statt Siebzig sich wie Dreißig fühlen,
auch Körperertüchtigung betreiben
und immer fit gelenkig bleiben,
vergnügt ein Gläschen Rotwein trinken,
hoffen, dass noch viele Jahre winken:
Das Rentnerdasein bringt viel Freud’,
nur leider hat man – keine Zeit!

(Oskar Stock)